Armenien. Wir haben so gut wie kein Wissen über dieses Land, das ungefähr so groß ist wie Brandenburg. Das erste, was wir also machen, ist, die Seite vom Auswärtigen Amt zu lesen.
Das hängt auch damit zusammen, dass unsere Auslandskrankenversicherung keine Behandlungen übernimmt, wenn man sich in einer „Konfliktregion“ befindet. Also gehen wir auf Nummer sicher.
Grenzen dicht
Wir lesen unter anderem, dass die Überland-Grenzen zu Aserbaidschan und der Türkei geschlossen sind. Die politischen Spannungen zu diesen Ländern sind groß. Zu Georgien und dem Iran allerdings ist die Situation ok.
Außerdem gibt es einige Gebiete, die man als Tourist am besten vermeiden sollte. Das hört sich auf der Webseite so an: „Von Reisen in die Region Bergkarabach sowie die im Südwesten gelegenen, armenisch besetzten Bezirke Agdam, Füsuli, Dschabrayil, Sangilan, Kubadli, Ladschin und Kalbadschar wird dringend abgeraten.“ Besonders Aserbaidschan hat Probleme damit, wenn man nach Bergkarabach reist: Die Einreise nach Aserbaidschan wird verweigert und man kann sogar Geld- und Haftstrafen erhalten!
Fahrt von Georgien nach Armenien
Wir nehmen eine Mashrutka von Georgien über eine sehr wenig befahrene, teilweise sehr löchrige Straße. Früh morgens geht es los. Wie sonst auch an jedem Morgen fährt der Minibus um 7 Uhr vom Busbahnhof in Akhaltsikhe in Georgien nach Gyumri. 16 Lari (ca. 5€) kosten uns die ca. 5 Stunden Fahrt. Der Grenzübergang bei Bavra war sehr unkompliziert. In Gyumri angekommen steht schon die Mashrutka nach Jerewan bereit. Allerdings haben wir noch keine Armenischen Dram (1€ ca. 550 Dram). Wir fragen nach einer Bank und jemand zeigt die Straße entlang. Also läuft Steffen los. Der Mashrutka-Fahrer wird nach ca. 20 Minuten etwas ungeduldig. Er will losfahren. Ich bereite mich schon darauf vor, die Tür zu versperren. Doch dann kommt Steffen endlich angeeilt. Er berichtet, dass die Bank sich fast am anderen Ende der Stadt befindet.
Der Fahrer kann endlich aufs Gas drücken. Wir merken während der Fahrt erst einmal keinen großen Unterschied zu Georgien: es ist kalt, Schrift und Sprache auf den Ortsschildern sind genauso außergewöhnlich und die Menschen genauso herzlich und hilfsbereit. Die weiße Landschaft zieht an uns vorbei. Doch dieses Land ist in einiger Hinsicht besonders. Zum Beispiel die Geografie: Die mittlere Höhe beträgt 1800 Meter und 90% der Fläche sind mindestens auf 1000 Höhenmetern. Sozusagen ist Armenien das Nepal Westasiens. Im Gegensatz zu Georgien, wo man immer Berge sieht, ist man in Armenien immer auf einem Berg! Zu unserer rechten sehen uns steinerne Gesichter an, Abbilder der Verstorbenen.
Der ÖPNV in Jerewan ist sehr gut und zuverlässig. Das merken wir, als wir die Metro von der Bushaltestelle zu unserem Apartment nehmen. Die 100 Dram (ca. 0,20€) je Fahrt bekommen wir in kleinen roten Plastikchips zurück, die wir in das Drehkreuz einwerfen.
Während der Fahrt unterhalten wir uns darüber, was wir alles in Jerewan erkunden möchten. Tripadvisor hat uns einiges empfohlen. Ganz oben auf unserer To Do Liste steht das Genozid-Museum. Dahin machen wir uns gleich am nächsten Morgen.
Mit der Metro und dem Bus geht es in die Nähe des Berges Zizernakaberd, auf dem das gleichnamige Mahnmal weithin sichtbar thront. Wir wundern uns, denn der Eintritt in das Genozid-Museum ist kostenlos. Doch es macht Sinn, dass Armenien alle über seine blutige Vergangenheit als Opfer aufklären möchte. Das Museum ist extrem modern und in schwarz gehalten. Das passt zur Stimmung, denn die Armenier haben den Mord an ca. 1,5 Millionen ihrer Mitmenschen zu verkraften – ein Völkermord ungeheuren Ausmaßes! Oberflächlich wird diese grausame Tat so erklärt, dass die Osmanen die Armenier zum Islam bekehren wollten, diese sich aber nicht unterwerfen wollten. Und natürlich ging es auch um Land, da Armenien früher sogar bis ans Mittelmeer reichte – das Reich Cilicia.
Den Höhe-bzw. Tiefpunkt des Genozids war im Jahr 1915 während des ersten Weltkrieges. Wandgroße, erschreckende Bilder, ausführliche Texte in 4 Sprachen (Armenisch, Englisch, Französisch und Russisch) und ausländische Zeitungsartikel zeugen von den grausamen Ermordungen. Und um dem allen noch eins oben drauf zu setzen: Die türkische Regierung, sozusagen die Nachfahren des osmanischen Reiches, erkennt diese Katastrophe auch nach über 100 Jahren immer noch nicht an!
Oberhalb des Museums befindet sich ein Mahnmal aus Tannen, die von verschiedenen internationalen Persönlichkeiten in Erinnerung an die Schreckenstat gespendet wurden. Nach dem Weg entlang einer Mahnmauer mit den Namen der Ortschaften, die Opfer zu beklagen haben, und Helden, die sich gegen die Geschehnisse gewehrt haben, kommt man zum Mahnmal – einem Betonbau und einem Obelisken.
Nicht nur die Osmanen haben auf armenischem Gebiet gewütet, u.a. auch die Sowjetunion hat sich hier verewigt. Die vielen verschiedenen Einflüsse haben wir vor allem in Jerewan gespürt. Bei einer Free Guided Tour hat uns unser Guide sehr viel zur Geschichte und der Architektur erzählt und gezeigt. Jerewan wird als „Rosa Stadt“ bezeichnet, da viele Gebäude mit rosa Tuffstein erbaut wurden. Diese sind mit Symbolen typisch für Armenien verziert: Weinreben, Granatäpfel und Aprikosen. Die Aprikosenfarbe schmückt übrigens auch die Flagge Armeniens und soll für kreatives Talent und die hart arbeitende Natur der Armenier stehen. Das Blau steht für den Himmel und den Willen frei zu sein und das Rot für den andauernden Kampf und das vergossene Blut.
Doch nicht nur rosa verzierte Fassaden kann man entdecken, sondern auch schwarze. Schöne und traditionelle Innenhöfe sind selten geworden. Wir konnten zwei besichtigen. Aus dem Erbe der Sovjetunion sind die Treppen zurückgeblieben.
Der Berg Ararat – der mächtige 5000er ist das Symbol Armeniens! Hier von einer Plattform in der Hauptstadt Yerewan. Doch das Paradoxe: der Berg Ararat liegt gar nicht in Armenien, sondern in der Türkei! Das war natürlich nicht immer so. Ein Armenier hat uns erzählt, dass er in einem Gespräch mit einem Türken darauf aufmerksam gemacht wurde, dass die Armenier kein Recht hätten den Ararat als Symbol zu haben, da er nicht ihnen gehöre. Der Armenier hat darauf erwidert, dass die Türken auch kein Recht hätten den Mond und einen Stern als Symbol zu verwenden. Sie gehören ihnen ja auch nicht. Ziemlich schlagfertig! Ararat heißt übrigens auch die berühmteste Zigarettenmarke Armeniens.
Jerewan strahlt für uns einen ganz besonderen Charme aus. Planungstechnisch merkt man, dass Fußgänger einen höheren Stellenwert haben als in Tbilisi. Beim Schlendern durch die Stadt stören uns die wenigen Autos kaum und in der Einkaufsstraße könnte man ein Nickerchen machen. Auch weiß man immer wo man ist und wie spät es ist, da Schilder und Uhren in engen Abständen gesät sind. Eines unserer Highlights war das Restaurant Little Cilicia mit seinem wunderschönen Ambiente, dem traditionellen armenischen Essen und dem super freundlichen Kellner. Zu empfehlen ist auch der Besuch eines traditionellen Bäckers mit seinem Ofen.
Eine weitere Eigenart Jerewans sind die außergewöhnlichen Skulpturen: ein blauer Kiwi, eine dicke rauchende Frau, ein Pferd aus Hufeisen, bunte Zirkuselefanten usw. Alleine darüber könnte man schon einen eigenen Blogeintrag verfassen. Wir empfanden den Blumenbrunnen (leider im Winter aus) und die diskutierenden Männer allerdings als zwei der interessantesten. Außerdem gibt es in vielen Einfahrten Malereien verschiedenster Themen, von Landschaften, über Politiker hin zu diesen traditionellen Tänzern.
Der süße Kinderbahnhof Jerewans ist leider stillgelegt, doch kann man sich die vergangene Schönheit dieses Ortes gut vorstellen. Auf dem Rückweg ins Zentrum geht man durch einen ziemlich langen Tunnel.
Als wir abends nach Hause kommen erwartet uns eine sehr schlechte Nachricht: unser Iran-Visum wurde ein zweites Mal abgelehnt. Begründung: „Ihr müsst den Antrag über ein Reisebüro einreichen“. Ok, dann ist es eben so und wir entschließen uns nach reichlich Hin- und Herüberlegen zurück in die Türkei zu gehen. Somit endet unsere Reise Richtung Osten. Wir werden wieder in den Westen reisen.
Wälder und Klöster im Dilijan Nationalpark
Durch diese große Enttäuschung haben wir uns erst einmal Ruhe und Natur gegönnt. Wir durften Überbleibsel im Dilijan Nationalpark bewundern. Hier vermischt sich Geschichte mit Natur. Viele Klöster aus dem 12 und 13. Jahrhundert zeugen von ehemaligen Besiedlungen. Die Nationalparkverwaltung ist sehr gut ausgestattet: Fahrräder, stylische Wanderkarten und nettes Personal. Was will man mehr. Uns wurden verschiedene Wanderrouten empfohlen, doch der Regen erlaubte uns nur eine Wanderung.
Wie auch schon in Georgien konnten wir uns die einzigartige Natur manchmal nur erahnen. Weiße Schneedecken haben endemische Pflanzen- und Tierarten gut vor uns versteckt. Auch Wälder haben wir neben denen in Dilijan nicht viele gesehen, denn in den letzten 30 Jahren sind viele der Wälder gefällt worden.
Armenien hat uns durch mitnehmfreundliche Autofahrer begeistert. Lange mussten wir nie in der Kälte warten! Und gute Aussicht hatten wir meistens auch.
Start-ups im Sevan-Nationalpark
Im Gegensatz zum Trampen ist Couchsurfen in Armenien wirklich nicht einfach. Die einzigen, die uns während unserer Zeit aufgenommen haben, sind drei liebe Jungs aus Dänemark, Norwegen und Indien.
Kesava (links oben), Jeppe (links unten) und Severin (rechts). Alle sind sie um die 19 Jahre alt und haben ihr Abitur an dem Elitegymnasiumfranchise UWC gemacht (in Armenien, Deutschland und Indien). Kesava hat mir übrigens beigebracht, wie man Farbwürfeldinger löst. Lernen von den besten, denn er hält zwei Weltrekorde im Lösen der Kubiks! Auch eine Runde Siedler von Catan war mit drin.
Die drei super klugen Jungs leben seit kurzem am Sevan-See im Sevan-Nationalpark.
In den Bildern ist nur ein Bruchteil des Sees zu sehen – er ist wirklich immens groß! Die Jungs von Cilicia.Living sind gerade dabei, eine riesige Coliving-Community hier aufzubauen. Sie suchen digitale Nomaden, die sich in dieser wunderschönen Gegend niederlassen und Teil einer Gemeinschaft werden wollen. Untergebracht sind wir in energieautarken Öko-Gebäuden. An einem Abend kommen die Gestalter dieser Häuser und des Projektes und es gibt ein üppiges Abendmahl.
Oh schön, Polizei!
Ein paar Sachen sind uns bezüglich Armenien im Kopf geblieben. Positiv war z.B. die Polizei. Sie trägt nämlich keine Waffen. Das hat uns sehr beruhigt. Generell ist die Kriminalität hier nicht hoch – nur die „normalen“ Taschendiebe. Aber davon haben wir auch nichts mitbekommen.
Taxi, bitte!
Der Job der meisten Armenier ist wohl Taxi-Fahrer. An jeder Ecke stehen oder fahren sie.
Lieber Gott, … . Amen.
Zufällig geraten wir in einen traditionellen Brauch und eine Tanzaufführung namens Trndes. 40 Tage nach der Geburt Christi, dieses mal der 13. Februar, haben sich die Menschen an einem offenen Feuer Kerzen angezündet. Dies soll ein Freudenfeuer sein über die Darstellung des Herrn sein. Die Armenier erscheinen uns noch gläubiger als die Georgier (vielleicht auch wegen ihrer Geschichte). Kirchen und Klöster zeugen von ihrem strengen armenisch apostolischen Glauben.
Spielst du mit mir?
Schach, Backgammon und Wrestling sind sehr beliebte Freizeitaktivitäten in Armenien.
Barbecue auf Armenisch
Chorovats heißt so viel wie „gegrillt“ und ist Teil der tiefgreifenden Grill-Tradition der Armenier. Wohin man schaut, es gibt immer einen Chorovats bzw. Grill – sogar fest installiert auf Balkonen von Mehrfamilienhäusern! Schaschlik aus allen Tieren und deren Teilen ist eine beliebte Auflage – Gemüse eher nicht. Einmal im Jahr findet sogar ein Schaschlikfest im Norden des Landes statt. Wir haben den Chorovats am Sevan-See im Einsatz gesehen – frischer Fisch wurde dort zubereitet.
Gyumri – zweitgrößte Stadt Armeniens
Auf unserem Rückweg nach Georgien übernachten wir in Gyumri. Nun haben wir endlich Zeit die 150,000 Einwohnerstarke Stadt zu erkunden. In der Einkaufsstraße finden wir ein super süßes Künstlercafé. Der Tee ist außergewöhnlich gut und unser „Rohkost-Schokoball“ erweist sich als eine süße Delikatesse. Hin und weg von der Atmosphäre, vergessen wir, wo wir uns befinden.
Als wir dann weiterschlendern, finden wir noch einige weitere Obskuritäten. Rostige Blechdächer, ein sehr altes Auto und einen geschlossenen Freizeitpark. Kunst, die das Leben schreibt.
Armenien ist für uns nun kein weißes Blatt mehr – im Gedächtnis eher ein weißes Gebirgsland. Da es in Armenien zwischen 0 und 5 Grad kalt war und wir durch 2 Monate Kälte schon bis zum Mark eingefroren waren (und es mit dem Iran-Visum ja nicht geklappt hat), haben wir uns entschieden, so schnell wie möglich zurück in den wärmeren Süden der Türkei zu kommen. Ein Teleporter wäre an dieser Stelle echt willkommen gewesen! Mit einem weinenden Auge haben wir Armenien zurückgelassen, da wir dessen Süden nicht erkunden konnten. Hoffentlich beim nächsten Mal!