Kurz vor Sonnenaufgang. Ich stehe inmitten einer der schönsten Orte weit und breit. Hinter den schwarzen Bergen traut sich schon ein rosa Schein hervor. Die Kamera steht bereit um diesen magischen Moment festzuhalten. Rund um mich herum färbt sich das Wasser in einen goldglänzenden Teppich. Knipps! Jeder Sonnenaufgang ist schöner als der andere an diesem magischen Ort.
Hinter mir höre ich ein komisches Geschnatter. Ich drehe mich um und entdecke einen Schwarm Flamingos. Das sind ja mindestens 100! Sie stolzieren durch das seichte Gewässer. Knipps. Etwas weiter hinter ihnen sehe ich große weiße Flecken. Die Krauskopfpelikane. Ich weiß, dass sie eine Flügelspannweite von bis zu 3 Metern haben. Dicke Oschis! Gerade noch rechtzeitig sehe ich über mir ein paar Brandgänse vorbeifliegen. Ich finde ihr Gefieder echt schön –schwarz, braun, ein grüner Schimmer und weiß. Und dazu ein intensivroter Schnabel. Eine tolle Farbkombination.
Eine Brandgans im Tiefflug
Der anmutige Krauskopfpelikan auf dem Wasser
Rosaflamingos (Phoenicopterus roseus) mit ihren langen Hälsen
Ich begebe mich auf den Weg zurück. Von der Schotterpiste werde ich auf meinem Rad ganz schön durchgeschüttelt, aber wenigstens habe ich jetzt Rückenwind. Im höchsten Gang geht es über das Stück geteerte Straße an den überwucherten Salzpfannen Richtung Ausgang. Einmal drücke ich dann doch noch einmal auf die Bremse, um mir ein paar Stiele der Salicornia mitzunehmen. Sie sieht schön aus wie sich vom weißen Kristalluntergrund durch ihr saftiges Grün abhebt. Hartnäckiges Pflänzchen. Knipps. Ich werde die salzige Pflanze als Beilage zum Mittag anbraten. Mit Sesam und sonst nichts.
Die salzliebende Salicornia
Nun aber wieder rauf aufs Rad. Die Industriegebäude kommen in Windeseile näher. Ich verlangsame mein Tempo. Es ist ruhig, doch etwas klappert in der Nähe. Ich erinnere mich, es ist ein Stückchen Plastik vom Dach. Heute ist es wegen dem starken Wind besonders aktiv. Ich biege rechts ab, um es mir noch einmal anzuschauen. Mein Blick schweift über Verfall. Das Salz liegt reglos und grau in der großen Halle mit dem kaputten Dach. Das Förderband ist verrostet, die Salzwägen sind überwuchert. Knipps.
Stillgelegtes Salzförderband & die Salzlagerhalle im Hintergrund
Salzwägen, festgefahren
Dies war vorerst das letzte Mal, dass ich auf Fotosafari in der Saline Ulcinj unterwegs war. Das war Ende Oktober 2018 und seitdem bin ich mit Steffen wieder am Reisen. Zurück bleibt dieser Ort: Ein Ort voller Schönheit, ein Vogelparadies, voller Potential und wenig Hoffnung. Ein Ort der Gegensätze.
Zwei Monate habe ich damit verbracht den lokalen Verein Dr. Martin Schneider-Jacoby (MSJA) zu unterstützen. Die Mission des im Jahr 2016 gegründeten Vereins: Der Schutz der Saline Ulcinj. Zenepa Lika leitet die Aktivitäten dazu mit Herzblut und großem Engagement. Ich habe sie während meiner Zeit als Campaignerin bei EuroNatur, einer Naturschutzstiftung am Bodensee, kennengelernt. Als dann die Weltreise in den Fokus kam, haben Steffen und ich uns die Saline als erstes wichtiges Etappenziel vorgenommen und sind 3700km von EuroNatur bis zu MSJA geradelt – im Sinne der Saline Ulcinj.
Zenepa & Viviane in der Saline
In den zwei Monaten habe ich die Saline oft besucht, nicht nur auf Fotosafaris, sondern auch bei Führungen, Vogelzählungen und sogar für ein Fernsehinterview. Ich konnte dabei allerdings nur schwer die Schönheit der Saline genießen, da ich ihre tragische Geschichte kenne. Sie ist lang und verworren und könnte mehrere Bücher füllen.
Alles begann mit der Privatisierung im Jahr 2005. Der Investmentfond Eurofond, der beim undurchsichtigen Privatisierungsprozess die Hauptanteile an der Saline erwarb, sah seine Chance auf jede Menge Geld:
Das 15 km² große Feuchtgebiet liegt nämlich nur einige hundert Meter entfernt vom längsten Sandstrand der östlichen Adria, der sogenannten Copacabana Montenegros. Hotels und Apartmentkomplexe sind in den letzten Jahren immer weiter an die Saline gerückt. Eurofond hat die Saline als Bauland im Visier und bewirbt es als perfekt geeignet für ein Öko-Resort mit Golfplatz und Marinehafen.
Kormorane und Zwergschaben in der Saline
Ein Luxusprojekt, das wenig Raum für die lokale Bevölkerung und die Vögel übrig lassen würde. Doch für Vögel ist die Saline ein unerlässlicher Ort, an dem sie sich auf ihrer Zugroute von oder nach Afrika ausruhen können. Hier wimmelt es von Vögeln, Zehntausende von ihnen. Sie gehören über 250 Vogelarten an, einige von ihnen bedroht. Doch die schnatternde, piepsende und singende Vogelwelt ist bedroht durch die Skrupellosigkeit Eurofonds. Sie nutzen jegliche Mittel und Schlupflöcher aus, um ihr Interesse durchzusetzen: Ungeklärte Eigentumsrechte, zertretene Flamingoeier, Änderungen von Flächennutzungsplänen, zerstörte Pumpen, ein geklauter Bagger. Wo sie überall ihre Finger im Spiel haben bleibt ungewiss, doch die Unterstützung aus obersten Machtkreisen ist bekannt.
Dabei könnte es so schön sein: Meersalz. Ein Produkt gewonnen aus Sonne, Wind und Liebe, könnte hier wiederhergestellt werden. Dann gäbe es wieder wie seit den 1930igern einen zuverlässigen Arbeitgeber für die Menschen vor Ort. Auch die Salicornia könnte man in Restaurants oder Fachhandlungen verkaufen, einen Souvenirshop eröffnen oder das Museum betreiben. Für Kleinstunternehmer gibt es viel Potential. Doch seit 2013 steht die Saline still.
Kran, der Salz aus den Kristallisationsbecken in die Salzwägen geladen hat
Und nicht nur das! Es haben bereits elf Verkaufsangebote stattgefunden, in der die Saline für über 150 Millionen Euro falschgeboten wurde. Seither duckt sich die Saline vor der lauernden Gefahr. In ihrer unbeachteten Schönheit hinter einem bewachten Tor liegt sie. Sie weiß, dass da draußen ein Kampf um sie losgetreten wurde: auf dem Papier, auf vier Konferenzen, mit Petitionen, in Telefonaten und auf Social Media unter dem Hashtag #savesalina.
Gut, dass man die Saline noch nicht mit einer großen Glocke versehen hat, denn so können Flamingo, Krauskopfpelikan und viele weitere Vögel hier immer noch rasten. Es kommen insgesamt weniger als noch vor einigen Jahren, da die Bedingungen nicht mehr optimal sind. Die Naturtouristen aus aller Welt schreckt das allerdings nicht ab. Die hartgesottenen unter ihnen schaffen es sogar in die Saline, obwohl es nicht so einfach ist von ihr zu erfahren. Hotels, die Touristeninformation und Internetseiten machen viel zu selten auf sie aufmerksam. Es gibt in ganz Montenegro kein Schild, auf dem sie ausgewiesen ist und in der Saline selbst erfährt man nichts zu ihrer Geschichte.
MSJA hat deswegen bereits seit längerem geplant, eine umfangreiche Mappe für Touristen zu erstellen. Ich habe die Pläne dann in dem Programm InDesign umgesetzt. Die Stadtverwaltung und Unternehmen aus Ulcinj, darunter auch viele Hotels, haben den Druck der viersprachigen Mappe finanziert und nun liegt sie in ganz Ulcinj aus. Außerdem habe ich die Website des Vereins aufgepäppelt und nun gibt es sie auch in Englisch mit den wichtigsten Informationen.
Ich hoffe sehr, dass noch viele Menschen auf Fotosafari in die Saline gehen, von ihrer Schönheit verzaubert und ihrer Geschichte berührt werden.
Bitte unterschreibe auch du die Petition und erzähle Menschen diese Geschichte. #savesalina. For salt. For birds. For people.
Die Webseite von MSJA: www.ulcinjsalina.me/en/